Marcela Böhm. Magische Realität.
3. Oktober – 7. November 2020
Eröffnung: Freitag, 2. Oktober 2020, 19 Uhr
Interview mit Marcela Böhm zum Anlass der aktuellen Ausstellung. Die Fragen stellte der Galerist Torsten Obrist.
TO: Liebe Marcela, seit unserer letzten Ausstellung “Was sich nicht verändert” hat sich in Deiner Malerei doch einiges verändert. – Kannst Du das kurz skizzieren?
MB: Malerisch stehe ich an einem wichtigen Punkt. In den Motiven hat sich meine Arbeit nicht groß verändert. Formell bewege ich mich langsam immer mehr an der Grenze zur malerischen Freiheit, bzw. zur Ablösung vom gegenständlichen Motiv. Das explizite Beschreiben ist mir nicht genug. Es drängen sich konkrete Formen wie monochrome Flächen und Linien in die Bilder, die manchmal an Muster auf den gemalten Objekten erinnern, aber manchmal auch ohne eindeutigen Zusammenhang neben den Figuren oder Objekte auftauchen.
TO: Die neue Ausstellung heißt “Magische Realität” und gemahnt damit an den Magischen Realismus, und da denkt man unwillkürlich an Frida Kahlo. Du beziehst Dich mit dem Titel nach eigener Aussage aber mehr auf die Literatur. Ein besonderes Merkmal dieser Richtung sind die Brüche und Formabweichungen, die ganz unspektakulär und nüchtern in die Storys hineinwirken. – In welchem Verhältnis steht Deine Malerei dazu?
MB: Die Literatur und das Lesen haben mich schon immer sehr beschäftigt. Häufig war die Literatur auch Zufluchtsort für mich. Und zuletzt hatte ich Zeit, über die Impulse nachzudenken, die mein Schaffen in den letzten Jahren bewegt haben. Tatsächlich habe ich Parallelen zwischen meinen jetzigen Versuchen und dem “Magischen Realismus” entdeckt. Viele kennen diesen Begriff in Zusammenhang mit Gabriel García Márquez (Hundert Jahre Einsamkeit, Die Liebe in den Zeiten der Cholera, usw.) und auch der Japaner Haruki Murakami wird in diesen Kontext gerückt, mit einer sehr urbanen Form des Magischen Realismus. Und da finde ich mich selbst in meiner Bildsprache wieder. Die Gemeinsamkeit: So etwas wie eine nüchterne Art von Distorsion. Ohne Drama, ohne Pathos.
Ich habe schon immer gerne Brüche eingebaut, verzerrte Perspektiven, seltsame Größenverhältnisse. Und da habe ich oft gehört: “Das stimmt aber doch nicht.” Oder: “Das ist so nicht möglich.” Jetzt, wo ich viel freier, scheinbar viel zusammenhangsloser und ohne Logik Flecken, Striche, geometrische Formen einbaue, höre ich das viel seltener. Es wird eher angenommen, ohne es anzuzweifeln. Vielleicht, weil der Betrachter nun mehr die Malerei und weniger die Geschichte im Bild anerkennt?
TO: Das heißt also, daß das erzählerische Element in Deinen Bildern gegenüber dem rein malerischen zurücktritt, Du aber gleichzeitig einen stärkeren Bezug zur Literatur siehst?
MB: Ja, nehmen wir „Patio“ (siehe Seite 7). Der Kopf der Frau ist ganz naturalistisch gemalt, abbildhaft, “normal”. Aber am Hals, bzw. am Ausschnitt des Kleides, gehen die Hautfarben wie selbstverständlich als Pinselstrich über die Bluse. Und das ist für mich ein ähnlicher Bezug wie in einer Geschichte von Julio Cortázar: Ein Mann ist in seiner Wohnung. Auf einmal ist ihm schlecht, er geht auf seinen Balkon und erbricht kleine Kaninchen. Diese gibt er dann in einen großen Blumentopf mit Klee, weil er denkt, daß sie dann etwas zu futtern haben. Dann geht er zur Arbeit. Als wäre alles ganz normal, als hätte er sich die Krawatte gebunden…
TO: Um auf das Eingangszitat von Uslar Pietri nochmals einzugehen: Was bedeutet denn in diesem Zusammenhang “Magie”?
MB: Bei vielen Naturvölkern stellt sich diese Frage nie, das Magische lebt im Alltag. Ein Baum, ein Tier, ein Licht, eine Farbe können das Gefühl der Magie geben, etwas, das die menschlichen Grenzen übersteigt. Etwas, das der Mensch nicht versteht. Magie hat in unserer zivilisierten Kultur wenig Platz. Wir haben uns immer eingebildet, wir könnten alles erklären und verstehen. Aber gerade die letzte Zeit hat bewiesen, daß das Unerklärbare jederzeit abrupt und massiv in unser Leben dringen kann.
Meine Bilder enthalten Dinge, die sich aus der motivischen Logik nicht zwangsläufig ergeben, ihr häufig sogar widersprechen. Diese Irritation ist mir wichtig, denn so ist unser Leben. Es gibt immer Brüche in der Realität, diese magischen oder lyrischen Momente auch im Alltag, wo man nicht versteht und wo scheinbar nichts zusammenpasst, und doch sich alles zu einem wunderbaren neuen Bild zusammenfügt.
TO: Vielen Dank für das Gespräch!